Altwerden ist nichts für Feiglinge

Das ist eine Weisheit vom guten Fuchsberger. Aber auch viele andere, Kommentatoren, Komiker, Journalisten, Schreiberlinge aller Art usw. haben sich ihrer bedient. So genau weiß ich nicht, wer der ursprüngliche Autor ist. Die Hauptsache für mich ist, dass ich diese Meinung total teile. Der Spruch ist einfach voll zutreffend! Und jeder Mensch, der mit den Schwächen, die das Altern mit sich bringt konfrontiert wird weiß, wovon ich rede. Die laufend notwendige Beschäftigung mit dem, was da plötzlich nicht mehr geht (oder aber wenn ja, dann meistens nur mit zunehmenden Schmerzen), lenkt ab von dem, was in der Welt um einen geschieht. Ein neuer Kalter Krieg? Bitte nicht! Aber Säbelrasseln scheint zurzeit wieder „in“ zu sein. In Ägypten wird aus dem „arabischen Frühling“ ein kalter Winter. Mubarak wird sich freuen. Und Herr Putin träumt weiter vom „Großrussischen Reich“ und wenn es geht, gleich vom „Tausendjährigen“. Diesen Begriff kennen wir Alten ja alle. In unserer Kindheit träumten Hitler, Goebbels & Co. davon. Mir klingeln die Ohren! Das Wort „Dialog“ ist heute anscheinend aus vielen Vokabularien gestrichen worden. Die IS-Fanatiker und ihre Ableger in Afrika und Asien tragen mit ihrem Abschlachten aller Andersgläubigen dazu bei, dass der Islam des Propheten Mohammed verteufelt wird. Auch im Nahen Osten zeichnet sich ab, dass zwischen Palästinensern und Israelis kein friedliches Zusammenleben in absehbarere Zukunft mehr möglich sein wird. Auch dort ist das Wort „Dialog“ verschwunden.

Eigentlich wollte ich ja über das Altwerden sprechen, das nichts für Feiglinge ist. Dass ich davon irgendwie abgekommen bin, ist den Geschehnissen in unserer Welt geschuldet. Die betrachtet ein alter Mensch, der die Schrecken des Zweiten Weltkrieges miterlebt hat sicherlich mit anderen Augen als jemand, der erst danach geboren wurde. Denn der ist bei uns doch in einer verhältnismäßig friedlichen Welt aufgewachsen. Also beschäftigen wir uns nun mal intensiver mit dem Altwerden.

Ich bin recht spät in den eigentlichen Ruhestand gekommen. Und bin immer noch dort aktiv tätig (im Ehrenamt), wo ich mich mit meinen Kenntnissen und Erfahrungen einbringen kann. Aber das geschieht völlig ohne Druck. So „schmeckt“ diese total stressfreie Arbeit auch sehr gut. Jedoch bemerke ich auch dabei mit den Jahren sehr wohl die nachlassenden Kräfte und vor allem die Einschränkungen, die ich mir selbst auferlegt habe. Eben mal schnell nach Halle fahren, um eine Freundin zu besuchen oder nur „um die Ecke“ zum Copyshop, um Kopien anfertigen zu lassen geht nicht mehr – ich habe mein Auto vor zwei Jahren abgegeben, nachdem ich feststellen musste, dass es mit meiner Reaktion in kritischen Situationen im Autobahnverkehr nicht mehr so richtig und vor allem schnell klappte. Mit dem Fahrrad dorthin fahren geht nun auch nicht mehr – den Drahtesel habe ich nach dem letzten Sturz verschenkt und bin nun zur „Rollator Fahrerin“ geworden. In der Wohnung oder im Keller Sachen hochheben, volle Aktenordner hochstemmen, Papiere für die Ablage aussortieren und einsortieren in den diversen Aktenregalen sowie Wäsche, Blusen, Hosen, T-Shirts usw. in Fächer im Kleider- und Wäscheschrank einordnen oder aufhängen – das ist meistens nur mit der Klappleiter möglich. Da hinauf zu steigen unterlasse ich aber tunlichst, nachdem ich einmal fast dabei gestürzt wäre. Also habe ich nun angefangen mich nach „netten Nachbarn“ umzusehen, die auch immer sofort helfen, wenn ich sie darum bitte. Vieles von dem, was vorher ganz einfach war, geht eben nicht mehr ohne Hilfe. Nun erst stelle ich fest, dass auf einen „Hilferuf“ auch meistens immer eine nette Antwort kommt.

Seit nun fast zwei Wochen geht es nach draußen „vor die Tür“ nur noch mit meinem Rollator. Um ehrlich zu sein ist das schon etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht wegen des Gebrauchs dieses tollen Gehhilfsmittels, sondern weil ich damit erst jetzt richtig feststellen kann, wie scheußlich uneben die vielleicht schön aussehenden, aber eben nie so richtig gepflegten Bürgersteige aus den kleinen hellgrauen Basaltsteinchen in unserem Viertel sind. Noch schlimmer sind natürlich die Bollersteine auf den nicht asphaltierten Straßen bei uns. Das Überqueren, was vorher mit dem gut aufgepumpten Fahrrad einfach war, bedeutet nun eine armrüttelnde Rumpelei, bis man auf der anderen Seite angekommen ist. Wie lange das der Rollator aushält wird sich zeigen, von meinen Armen und Schultern ganz zu schweigen!. Wie so Vieles, für das man als alter Mensch Alternativen sucht, weil das Gewohnte nicht mehr möglich ist, versuche ich jetzt auch schon von weitem die ebensten Stellen „anzusteuern“ mit meinem Rolli, was natürlich für den Beobachter meiner Bemühen so aussieht, als torkele ich wie betrunken durch die Gegend. Das ist mir allerdings vollkommen wurscht. Aber beweist eben einmal mehr, dass Altwerden nichts für Feiglinge ist. Und dass der alternde Mensch laufend nach Alternativen suchen muss für das, was gar nicht mehr geht. Das wenigstens sehe ich wenigstens als eine sehr positive Herausforderung.

Straßenbahnfahren mit dem Rollator kann man lernen. Man muss, das ist ganz wichtig, wenn man den Rolli nicht zusammenklappt und rein und raus trägt, immer damit rückwärts aussteigen. Ich werde meinen Rolli auch in einem Bus zusammenklappen, das ist sicherlich besser. Nur: Soviel heben und dann noch den Rucksack auf dem Rücken mit den Einkäufen geht wieder über die Arme und Schultern her. Da fängt es dann dort an zu zwicken und zu zwacken. Nichts geht mehr so richtig ohne irgendwo Schmerzen hervorzurufen. Auch damit muss ein alternder Mensch fertig werden.

Noch komplizierter wird eine zukünftige Bahnfahrt. Magdeburg hat bisher nur drei Bahnsteige, die mit einem Lift zu erreichen sind. Züge in Richtung Halle/Erfurt/Weimar fahren da aber nicht ab. Ich kann zwar meinen Rollator zusammenklappen, er ist auch verhältnismäßig leicht zu tragen, aber die Treppen „nach oben“ haben viele Stufen. Und ich habe ja auch noch etwas Gepäck. Ok, das kann ich bei kurzen Aufenthalten in der Ferne in einen Rucksack unterbringen. Und die Bahnhofsmission könnte ich vorher auch anrufen, dann würde mir geholfen. Nur, wo bringe ich meinen Rollator unter im Zug? Vor allem in einem IC oder ICE, wofür ich mir ja auch immer Platzkarten besorge? Das ist schwierig, das musste ich nach ersten Bahnfahrtversuchen feststellen. Mit Regionalexpresszügen oder Regionalbahnen ist es leichter. Denn ich möchte nach wie vor noch verreisen können. Wobei Flugreisen in Zukunft total aus dem Programm gestrichen werden müssen. Ich käme schon ganz schlecht einen Gangway hoch oder runter. Nicht auf jedem Flughafen kann man aus dem Flieger in Höhe der Eingangstür aus- und einsteigen. Und der Rolli müsste dann ja auch noch mit. Für das Gepäck gäbe es allerdings zuverlässige Gepäckdienste, die einen Koffer bis zum Eincheckschalter von Zuhause und nach der Rückkehr auch wieder nach Hause bringen würden. Aber wie kriege ich meinen Rolli in ein Flugzeug und auch wieder raus?

Noch kann ich kürzere Strecken mit meinem Gehstock laufen, wie zu den Abfalltonnen im Hof oder zum Bioladen „um die Ecke“. Wenn mich jemand begleitet, kann ich auch Einladungen zu Veranstaltungen (Theater, Konzerte, Seminare, usw.) und Feiern annehmen. Möge das auch noch lange so bleiben. Aber generell muss ich sagen, ist der Rollator für mich ein hervorragendes Hilfsmittel für das sichere Gehen geworden. Ich kann Menschen nicht verstehen, die das nicht einsehen und lieber hinfallen und sich dabei etwas brechen, anstatt sich einen Rollator zu besorgen. Deren Argument (vor allem von Frauen) „dann komme ich mir erst richtig alt vor“ kann ich auch nicht akzeptieren. Ein Mensch ist ab siebzig alt. Und jedes Lebensjahr mehr erlebe ich seitdem als ein Geschenk, das in unserer Zeit auch ohne weiteres erreichbar ist mit guter medizinischer Versorgung. So breche ich nun eine Lanze für meinen Rolli und will beim weiteren Altwerden bestimmt kein Feigling sein und mich im Spätherbst noch am wunderschön gelben Gingko Baum erfreuen, der anscheinend als letzter seine Blätter verliert, bevor der Winter mit Schnee und Kälte seinen Einzug hält.

Gingko Baum auf dem Westfriedhof in Magdeburg im November 2014

Gingko Baum auf dem Westfriedhof in Magdeburg im November 2014

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert