Herbstliebe – November 2016

Herbstliebe – November 2106

Kann man als alter Mensch noch eine tiefe Zuneigung zu einem anderen Menschen empfinden, wenn man sich praktisch schon seinem Lebensende nähert? Ja, das kann man. Nimmt dieses Gefühl sogar noch immer weiter zu, obwohl man weiß, dass es gar nicht oder wenn auch nur geringfügig, dann nie mit der eigenen Intensität erwidert wird? Ja, das Gefühl vertieft sich sogar, bis es Schmerzen bereitet. Viele Jahre eigener und tiefer Lustgefühle beim Sehnen nach dem geliebten Partner, der einen so früh verlassen hat sind vergangen. Nun kreisen die Gedanken um einen einzigen Wunsch, nämlich dem Menschen, dem diese Zuneigung gilt nahe zu sein.

So etwas ist im Alter ein völlig anderes Erleben im Vergleich zu den Gefühlen in jüngeren Jahren. Eine „Herbstliebe“ an der Schwelle zum Tod ist einzigartig. Man möchte dem Menschen, der dieses Gefühl in einem erweckt hat immer wieder begegnen, ihn sprechen hören, sich mit ihm über alles austauschen, seine Gedanken mit ihm teilen und dabei in seine Augen blicken, seine Berührungen fühlen, über seine Haare streichen oder ihn einfach nur umarmen können wie eine Mutter ihr Kind umfangen würde. Man hat keine Schmetterlinge mehr im Bauch dabei wie vor so vielen Jahren und auch keine weichen Knie, sondern fühlt sich einfach nur hingezogen zu diesem Menschen in seiner Umgebung. Über dreißig Jahre Abstinenz von liebevoller Hinwendung zu einem anderen Menschen werden von dieser Zuneigung ganz einfach hinweg gewischt. Man erlebt plötzlich einen Rausch, der den gewohnten Alltag durcheinander wirbelt wie der Herbstwind die bunten Blätter, auf denen man, wenn sie vom Regen nass geworden sind, gefährlich ausrutscht. Zieht einem dieses schmerzvolle Fühlen, dem man nicht entkommen kann den festen Boden unter den Füßen weg, wenn es kein Echo findet? Ja, das tut es.

Was geht in einem vor? Man verträumt den Tag. Die Gedanken kreisen. Nur um ein Ziel: Um den Menschen, der dieses Gefühl in einem geweckt hat und der immer vor einem steht im Hellen und im Dunkeln. Im Wachen und im Schlaf. Im Lärm der eigenen Umwelt und in der Stille. Man hält Zwiesprache mit ihm, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Die eigenen Pläne sind unwichtig. Wichtig ist nur einen Blick werfen zu können auf den Menschen, um den sich jetzt alles dreht. Und der doch so unerreichbar ist und es auch bleiben wird. In dieser Herbstliebe ist noch die letzte Wärme der Sommersonne zu spüren. Sie wird von übrig gebliebenen Blumendüften leicht umwoben. Die kräftigen Farben des Sommers, die Augen und Seele erfreut haben sind noch nicht ganz verblasst, aber sie sind schon von den ersten kalten Regenschauern und dem ersten Raureif berührt worden. Noch erstrahlen sie einzigartig in den Feuerfarben des Herbstlaubs und lassen die nächtliche Kälte nicht bis ins Herz vordringen. Die Seele trennt sich bereits aus der Dur-Stimmung des Spätsommers und gewährt den Molltönen des nahenden Winters Einlass. Die Herbstliebe wird erst dann zur Ruhe kommen, wenn Schnee und Eis sie zugedeckt haben und man nur noch den Schmerz der Winterkälte spürt. Ob sie im Frühling noch einmal aufwacht? Wer weiß das schon…

Herbstfeuer

Herbstfeuer

 

1 Antworten zu Herbstliebe – November 2016

  1. Am 31. März 2018 um 16:12 schrieb Monika Lockemann:

    was für eine wundervolle Liebesgeschichte über eine Herbstliebe – ich habe sie genossen. Wie überhaupt Ihre Website, die ich künftig sicherlich noch oft besuchen werde. Jetzt, wo ich sie – ganz zufällig – gefunden habe.

    Wir haben in den späten 70ern des letzten Jahrhunderts in Kumasi gelebt und in der Zeit – wenn ich mich recht erinnere im Shop der Universität in Legon, da bin ich aber nicht sicher – auch “No time to die” gekauft. Inzwischen zerfleddert, oftmals kopiert und verschenkt, weil wir glaubten (vielleicht stimmt das gar nicht?), dass es nicht mehr zu kaufen ist. Was für ein tolles Buch für alle, die Ghana noch aus der Zeit der Mammy Lorries kennt? Ich danke Ihnen dafür. Ich danke für die letzte Stude, die ich auf Ihrer Seite verbracht habe. Und wünsche Ihnen alles Gute!

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