Die Einbaum Kanus der Küstenfischer – oder „Gott ist mein Hirte“

Heute muss man leider sagen „Es war einmal“; denn die meisten der hier erwähnten und gezeigten Kanus mit ihren einzigartigen Verzierungen voller tiefer Symbolik gibt es nicht mehr, oder es sind daraus andere, teilweise auch größere Kanus geworden, die im Tourismus eingesetzt werden können. Touristen werden mit ihnen durch die starke Atlantik Brandung aufs Meer hinaus gefahren. Das ist ein ganz toller Nervenkitzel!

Ghanas Küste bei Elmina, Kreidezeichnung, 1978

Ghanas Küste bei Elmina, Kreidezeichnung, 1978

Allerdings gab es in den Anfangsjahren nach der Unabhängigkeit von Ghana auch noch immer die einfachen, vor allem größeren und kompakteren, nicht verzierten Einbaum Kanus, die vom alten Fischerhafen in Accra aus durch die Brandung fuhren und Güter aus den Frachtschiffen holten (vor allem Zementsäcke), die vor Accra draußen auf Reede ankerten, bevor der Hafen in Tema fertig gestellt worden war. Denn in Accra gab es keine Möglichkeit Schiffe anlegen zu lassen. Bis zur Unabhängigkeit Ghanas gab es nur den Hafen in Takoradi. Die Frachtschiffe draußen vor Accra habe ich Anfang der Sechziger Jahre noch erlebt.

In der „afrikapost“ ist im Februar 2008 ein Beitrag von mir über die Küstenfischerei in Ghana erschienen. Den habe ich geschrieben, um den Einbaum Kanus auf diese Weise ein Denkmal zu setzen. Besonders zu bedauern ist nun in diesem Rückblick auf die Küstenfischerei in Ghana, dass die „afrikapost“, eine renommierte Zeitschrift, die sich mit der Geschichte, Kultur, Politik und dem Leben in Afrika befasst hat aus wirtschaftlichen Erwägungen ihr Erscheinen einstellen musste in diesem Jahr. So finde ich es nur passend an dieser Stelle meinen Beitrag aus der „afrikapost“ ergänzt anzubieten, sozusagen als „Nachruf“.

Wer in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts viel auf Ghanas Straßen unterwegs war, dem sind sie begegnet: Den Mammylorries, die früher vor allem Marktfrauen und ihre Waren transportiert haben und daher auch ihren Namen bekommen hatten, aber manchmal auch beladen wurden mit einem aus Wawa Holz (Triplochiton scleroxylon) geschlagenen rohen Einbaum Kanu auf dem Weg aus dem Wald an die Küste zu den Fischern. Als die Fantis, die zur großen Akan Familie gehören, aus dem alten Königreich Gana kommend, im 13. Jahrhundert westlich vom Königreich Songhai die Küste an der Bucht von Guinea besiedelten, brachten sie die Kunstfertigkeit der Holzverarbeitung mit sich. In Westafrika haben sich in dieser Zeit die Regenwälder viel weiter, als heute nach Norden erstreckt und es gab noch viele riesengroße Wawa (oder auch Obeche-) Bäume.

An der Küste lebten damals schon die Etsii und Asebus, die aus dem alten Benin (im heutigen Nigeria) vor der beginnenden Islamisierung auf ihren einfachen Kanus mit Bambusmasten und Segeln aus Baumrinde dorthin geflüchtet waren. Sie brachten das dreizackige Paddel mit. Die verschiedenen Volksgruppen vereinigten sich. Im heutigen Ghana erstreckt sich das Fanti Gebiet von Winneba bis Takoradi.

In den Jahren meines Aufenthaltes in Ghana von 1960 bis Ende 1982 erlebte ich mit, wie die Küstenfischerei, die von den Einbaumkanus abhing, immer größeren Problemen ausgesetzt war. Nach der Unabhängigkeit 1957 begann eine überhastige Industrialisierung des Landes auf Kosten traditionell gewachsener Strukturen. Das galt auch für den Fischfang entlang der Küste. Trawler begannen zu operieren, die die Fischschwärme in Ghanas Hoheitsgewässern im Laufe der Jahre immer mehr reduzierten. Auch hier im Atlantik begann danach die Jagd auf Fisch mit japanischen und russischen Fischfabriken.

Und mit den Außenbordmotoren verschwanden auch die dreizackigen Paddel, die zu den Kunstwerken der Schnitzer gehörten, die die Boote verzierten. Die Zahl „3“ ist sehr bedeutungsvoll im Zusammenhang mit den Gebräuchen der Akan. Die drei Zacken können aber auch mit der Hand in Verbindung gebracht werden. Denn in ganz alten Zeiten wurde mit den Händen gepaddelt. Die älteren dreizackigen Paddel waren wunderschön bemalt mit abstrakten Mustern. Oder einfach mit drei Farben dekoriert. Meist mit rot (dem Blut der Ahnen) an den Spitzen und darunter weiß (für Frieden) und gelb (für die Sonne).

Das dreizackige Paddel

Das dreizackige Paddel

1970 gab es entlang der Küste Ghanas noch an die 9.000 Kanus, mit denen ungefähr 67.000 Fischer die traditionelle Küstenfischerei betrieben. Etwa 10.000 Frauen handelten mit oder verwerteten den gefangenen Fisch, meistens Sardinen. 1962 hatten nur 19% der Einbaumkanus einen Außenbordmotor, 1971 waren es bereits über 80%. Mit einem solchen Motor versehen konnte ein Kanu auch im tieferen Wasser mit Schleppangeln fischen. In der Hauptsaison von Juni bis August holten die Kanus zu der Zeit 70% des gesamten Fischfangs in Ghana aus dem Atlantik. Aber die Umstellung auf effizientere Fangmethoden ging trotz der Einrichtung von Fischereigenossenschaften und -schulen zu langsam voran. Die verschiedenen Militärputsche mit dem nachfolgenden wirtschaftlichen Abstieg im Land verhinderten den Ausbau und eine damit verbundene Verbesserung der Fischereiindustrie, die den Fortbestand der Küstenfischerei mit einbezog. So ging auch hier langsam eine Ära zu Ende. Und damit verbunden verlor das Land einen weiteren Teil seiner Kultur.

Einbaum Kanus wurden, wie bereits erwähnt aus Wawa (Triplochiton scleroxylon, auch „Obeche“ genannt), einem leichten tropischen Hartholz, hergestellt. Wawa Bäume wachsen gerade bis zu 50 m hoch. Der Stamm kann einen Durchmesser von über 1,5 m erreichen. Die ersten 30 m eines so hoch gewachsenen Baumes sind astfrei. Der Baum hat große Brettwurzeln, die bis zu einer Stammhöhe von 8 m reichen können. Solche Bäume gibt es heute kaum noch. Eine besondere Gruppe von Holzfällern und Kanubauern hatte sich in der Nähe eines großen Waldreservates im Westen Ghanas angesiedelt. Für das Fällen eines großen Wawa Baumes für den Bau eines Kanus erhielten sie die Genehmigung des zuständigen Forstamtes in Juaso im Ashanti-Akim Distrikt. Diese Arbeit, die hohes handwerkliches Können voraussetzt, wurde von niemand sonst ausgeübt. Für den Bau eines Kanus (bis etwa 10 m Länge – gebaut wurde nach „Bestellung“) benötigte eine Gruppe von 9 Männern vom Fällen des passenden Baumes bis hin zum fertigen „Rohbau“ drei Monate. Mit dem Fällen und Bauen verbunden waren immer traditionelle Zeremonien, um die Geister, die im Baum leben zu besänftigen. Desgleichen wurden auch die von Dorfschmieden für diese Arbeit hergestellten Werkzeuge (besondere Schlag- und Schnitzäxte) gesegnet, bevor sie benutzt wurden.

Eine weitere Zeremonie fand dann bei der Ankunft des noch rohen Kanus im Dorf an der Küste statt. Das Boot wurde erst weiter bearbeitet, wenn es völlig ausgetrocknet war. Danach wurde es in Form gebracht, geglättet, ausgeräuchert, geteert und mit Querlatten zum Sitzen versehen. Die Verzierungen wurden danach im Auftrag des Eigentümers von einem Schnitzer und Maler angebracht.

Wenn das Boot fertig und mit allem, was zum Fischfang dazugehört – Netzen, Haken, Paddel und Anker – versehen war, wurde es an einem Dienstag, dem heiligen Tag für die Fischer getauft, die an diesem Tag nicht ausfahren. Kanunamen sind geheim, sie werden nicht, wie bei anderen Schiffen üblich, bekannt gemacht oder aber auf die Bootsseite geschrieben. Nur der Eigentümer, der Fetish Priester, der die Taufe vornimmt und die Crew für das jeweilige Boot kennen ihn.

Ähnlich, wie bei den Mammy Lorries, wurden außer den unterschiedlichen Motiven und Symbolen für die Verzierungen Sprichwörter und biblische Sprüche auf die äußeren Bootswände geschnitzt. Diese sind fast immer in der lokalen Sprache der Fischer geschrieben. Häufig wird darin Gott gelobt und die von ihm verheißene Unsterblichkeit. Aber die Parallelen zu den Mammy Lorry Slogans sind da. Wenn die Sprichwörter übersetzt werden, treffen wir wieder auf „Geduld ist gut“, „Ein armer Mann isst keine Steine“, „Alles ist gut“, „Gott sei gelobt“ und „Gott ist meine Hirte“, usw. Und es gibt natürlich auch den „Lucky Boy“, „Kämpfe!“, „Attacke!“ u.a., aber eben keine Namen. An der Spitze des Kanus wurde innen auf einer Kupferplatte eine Flasche mit geheiligtem Wasser oder, wenn die Fischer Christen sind auch ein kleines weiß bemaltes Holzkreuz befestigt. Oder aber ein vom Fetish Priester angebrachtes Amulett. Vor der ersten Ausfahrt wird das Boot erneut gesegnet.

 

Bugspitze eines Kanus mit dem Schutz vor Unheil

Bugspitze eines Kanus mit dem Schutz vor Unheil

Viele der abstrakten Symbole drücken in der Art des Anbringens Symmetrie, Harmonie und Balance aus, für das Fischen in einem Einbaukanu unabdingbare Voraussetzungen. Das Hauptmotiv befindet sich immer in der Mitte. Oft erscheint das Herz als Zeichen der Liebe. Es ist außerdem das Symbol für Ausdauer und Geduld. Die Schlange und fliegende Vögel sind Zeichen für Geschwindigkeit. Mond und Sterne sind heilig für die Fischer, sie orientieren sich nach den Gestirnen. Ein Stern ist Gottes Kind, sein Leuchten ist der Widerschein Gottes. „Der Stern liebt den Mond“, so steht es in einem alten Akan Gedicht. Ein Stern im Halbmond ist das Akan Symbol für Treue. Das abstrahierte Kreuz in verschiedenen Motiven ist das Symbol für ewiges Leben.

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Bootsrandverzierung, 1978

Im Fischerort Biriwa, wo heute Touristen schöne Unterkünfte finden habe ich während meiner „Ghana Zeit“ oft die einfachen Lehmhäuser dokumentiert und in meinem Lehrbuch „Construction Technology for a Tropical Developing Country“ näher beschrieben. Dabei gab es immer Gespräche mit den Fischern, die mir von ihren Sorgen erzählten, weil immer weniger Fische in die Netze gingen. Auch sie haben sich in der Zwischenzeit auf Touristenausflüge mit ihren Kanus umgestellt, so wie auch die Fischer in Elmina, Tema und Cape Coast und in anderen Orten entlang der Küste.

Wie schön war es doch immer, morgens früh an Ghanas Küsten die Sonne, den warmen Sand und die Palmen zu genießen und dabei den Fischern zuzusehen, wie sie mit ihren Kanus durch die wilde Brandung paddelten und weit draußen das große Fangnetz auswarfen. Wenn der Tag sich neigte, kamen sie zurück. Und dann wurde das Netz vom Ufer aus eingezogen. Oft habe ich dabei „mitgeholfen“ und viel Gelächter geerntet, wenn mir die Arme schon nach wenigen Minuten zu schwer wurden und ich sehr dankbar meinen Platz in der „Ziehschlange“ einem Jungen übergab, der sich voll ins Zeug legte. Oft habe ich dann einen schönen Barsch, oder einen Barrakuda, der mit ins Netz gelangt war kaufen können und hatte mein Abendbrot frisch aus dem Atlantik. Und einen unvergesslichen Tag in der Erinnerung. So, wie ich heute beim Schreiben an die Kanus denke mit ihren Verzierungen und der tiefen Bedeutung für die Fischer, die damit die Wellen bezwangen, und deren Kunstfertigkeit auch bald in Vergessenheit geraten wird, wie so Vieles in Ghana.

zurück…