Lebensspuren in Sand und Fels

Die Geschichte von Ameib

Am südlichen Rand des über 130 Millionen Jahre alten Erongo Gebirges in Namibia liegt eine Gästefarm, die Ameib Ranch. Das Gebirge hat einen Durchmesser von etwa 35 km und ragt fast 1000 m über die umliegenden Ebenen hinaus. Der Erongo ist ein Vulkankomplex. Als ich 1992 zum ersten Mal als Besucherin auf Ameib einkehrte, war ich von der großartigen Kulisse der Gästefarm so tief beeindruckt, dass ich bereits im Jahr darauf wiedergekommen bin. Ich war überwältigt von der Schönheit der Landschaft und den geologischen Besonderheiten des Gebirges, die sich dem aufmerksamen Besucher und interessierten Wanderer an vielen Stellen erschließt. Es gibt dafür extra markierte Wege. Denn auf Ameib darf man wandern. Auch allein. Kilometer lang. Durchs Veld und hinauf in die Welt der Felskolosse. Durch Trockenflüsse und über Stock und Stein – wörtlich!

Zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten eröffnen sich immer wieder andere, oft auch neue Ausblicke. Ein Besuch auf Ameib ist zugleich auch eine geologische Expedition. Fauna und Flora sind einmalig schön und interessant. Das Auge kann sich nicht satt sehen. Die Seele wird zutiefst berührt von Farben, Düften, Geräuschen von Vögeln und Tieren. Und das alles ist umgeben von den uralten, gigantischen Steinriesen des Erongo Gebirges. Die Oase für Mensch und Tier hat noch Vieles mehr zu bieten. Spuren im Sand weisen hin auf Wildpfade verschiedener Tiere. Die Nester vieler Vögel erkennt man in Bäumen und Felsnischen. Grazile Zeichnungen, die in roten, braunen und weißen Strichen und Flächen auf den Fels gemalt sind, zeugen von Künstlern aus der Vergangenheit, die in den Hochtälern, Schluchten und Inselbergen des Erongo gelebt und hier in diesen Kunstwerken ihre Spuren hinterlassen haben. In dieser herrlichen Natur wird der Mensch ganz klein und bescheiden.

Lange liegt das Land trocken, und die riesigen Granitfelsen reflektieren die Hitze der Sonne, die von einem wolkenlosen Himmel strahlt. Wenn der erste Regen fällt, füllen sich Becken in den Felsen mit Regenwasser und plötzlich erwacht darin Leben. Seltene Blüten bedecken die kleinen Seen. Leuchtend rote Feuerlilien locken Paviane an. Eine neue Froschgeneration und Wasserschildkröten wachsen heran. Blumenteppiche überziehen den sandigen und steinigen Boden im Veld. Der Duft von Baum- und Buschblüten liegt schwer in der heißen Luft und zieht Tausende von Insekten an. Störche fallen zu Hunderten ein. Das ist Ameib. War es immer so?

Der Wunsch, die Geschichte dieses einzigartigen Ortes für die Nachwelt aufzuschreiben, wurde 2004 bei einem Besuch auf Ameib und vielen Gesprächen mit Waldtraut Kögl, der damaligen Eigentümerin der Ranch geboren. Denn „!Am-eib“ – der grüne Ort – wie er von den Ureinwohnern genannt wurde, hat eine sehr lange Geschichte. Ich begann ab 2005 nach Informationen zu suchen, zu forschen und zu sammeln und notierte alles auf, was zu finden war von den Anfängen Ameibs bis ins 2o. Jahrhundert. Waldtraut Kögl gab dazu ihr Wissen preis und stellte mir alles in ihrem Besitz befindliche Dokumentationsmaterial zur Verfügung. Sie hütete damals einen Schatz von Gästebüchern, Alben mit sehr vielen Fotos sowie alte und neue Veröffentlichungen.

Ich begann mit Nachforschungen im Archiv der Vereinigten Evangelischen Missionen (WEM) in Wuppertal. Dort lagern die handgeschriebenen Berichte und Tagebücher von Missionar Böhm, mit dessen Ankunft auf Ameib unsere Geschichte im Jahr 1867 beginnt. Gleichzeitig durchforstete ich viele Unterlagen über Ameib im namibischen Nationalarchiv, in der sehr ergiebigen Bibliothek der Wissenschaftlichen Gesellschaft – beide in Windhoek – und schließlich auch noch im Bundesarchivbestand des Reichskolonialamtes in Berlin über Ameib in der deutschen Kolonialzeit und nach dem Ersten Weltkrieg in den Jahren unter südafrikanischer Mandatsverwaltung bis 1980, als Waldtraut Kögl die Farm erwarb und eine Gästefarm einrichtete. Ich habe Ameib sehr häufig besucht. Die täglichen Erzählnachmittage mit Waldtraut Kögl werden mir unvergessen bleiben. Die Seiten meiner Notizbücher füllten sich. Bei der Hitze, die einem im namibischen Sommer auf Ameib häufig den Atem nimmt, wurde mein Laptop beim Schreiben immer langsamer. Gegen Ende des Jahres 2008 konnte ich fruchtbare Kontakte etablieren zur Tochter von Albert Schomschor, dem Stiefsohn von Emil Philipp, der seit 1939 auf Ameib gelebt und gearbeitet hatte. Deren zusätzliche Informationen über die berühmten Felszeichnungen des weißen Elefanten in der Grotte, die Philipps Namen trägt, waren sehr nützlich. 2009 ist das Buch „Lebensspuren im Sand und Fels“ vom Namibiana Buchdepot herausgegeben worden.

In sechs Kapiteln erzähle ich die Geschichte von Ameib. Sie ist eingebettet in die fiktive Lebensgeschichte des San Kasie, der die Ankunft des Missionars Böhm miterlebte. Und sie klingt aus mit meinem eigenen, traumhaften Erlebnis in der Philipps Grotte bei meinem Ameib-Besuch im Februar 2007. Dazwischen werden die Ereignisse in der deutschen Kolonialzeit erzählt, als Ameib zum ersten Mal zur Farm wurde. Die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen und die Nachkriegsjahre nach 1945 folgen mit dem Zinnabbau, der Suche nach weiteren Erzen und Mineralien und dem Erforschen der vielen Felsmalereien im Erongo Gebirge. Die wohl berühmteste davon ist der „Weiße Elefant“ in der Philipps Grotte, die unter Denkmalschutz steht.

Die ab 1980 von Waldtraut Kögl geschaffene Oase für Mensch und Tier beweist, wie erhaltenswert dieser Teil des Wüstenlandes Namibia ist. Die Beschreibungen des Alltagsgeschehens auf der Ranch sollen dem Leser vermitteln, welchen Einsatzes und welcher Kraft es bedarf, eine Gästefarm in diesem Gebiet zu führen. Allen, die auf Ameib gelebt und gewirkt haben, sollte allergrößte Hochachtung gezollt werden. Das Leben am Rand der Wüste ist sehr hart und entbehrungsreich. Es ist völlig abhängig vom Regen, der so wertvoll ist, dass er in Millimetern gemessen wird. Bei Trockengewittern entzünden Blitze schon mal das dürre Gras. Oder unterbrechen den Telefonanschluss. Wer hier nicht gut organisieren, gestalten, walten und improvisieren kann, hat von vorne herein verloren. Daran sollten Besucher immer denken, wenn sie ihr Weg hierher führt. Die heutigen Besitzer der Ameib Ranch führen den Gästehausbetrieb gekonnt weiter wie bisher, sodass Gäste, mit Wanderkarte und Klettersteigflyern ausgestattet, diese einzigartige Fauna, Flora und überwältigende Geologie sowie die künstlerischen Hinterlassenschaften der Ureinwohner mit einer Vielzahl von Felsmalereien erleben können.

Hannah Schreckenbach im Oktober 2018

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