Amedzofe – ein kleines Paradies in Ghana

Es hat lange gedauert, bis ich dieses kleine Paradies Ghana „entdeckt“ habe. Fast gegen Ende meines 22-jährigen Lebens in Ghana war ich 1980 zum ersten Mal nach Amedzofe gekommen. Während eines Entwurfsseminars mit unseren Studenten in den „long vacations“ im August 1980 (in unseren langen Semesterferien) hatte ich mich mit dem damaligen „Landesfürst“, dem Regional Commissioner für die Volta Region angefreundet, einem Ewe, der in der ganzen Region gute Kontakte hatte. Er hatte dieses Amt in der Liman Regierung angetreten, die nach dem 1979 Militärputsch durch Wahlen das Regierungsgeschäft von den Militärs übernommen hatte. Über das Entwurfsseminar mit unserem fast vierwöchigen Aufenthalt in Ho, der Regionalhauptstadt der Ewe Region und in den Dörfern Avenya und Aviefe biete ich einen Beitrag im „Afrika Sammelsurium“ an. Immer hatten mir die Ältesten und Frauen in den Dörfern während unserer Arbeiten dort geraten doch auch Amedzofe einen Besuch abzustatten. Die Dorfbewohner hatten mir beim Skizzieren oft zugesehen und mir sehr viel über ihr Leben erzählt.

Amedzofe und der Mount Gemi, 1980

Amedzofe und der Mount Gemi, 1980

 

Der Dezember 1980 hatte mit einem Vorlesungsboykott durch die Studenten begonnen und der nachfolgenden Schließung der Universität. Nach verschiedenen Treffen vom Council und einer Lehrkörperversammlung zu der sogar Präsident Liman gekommen war und zu uns gesprochen hat, konnte der Lehrbetrieb am 15.12.1980 zwar wieder aufgenommen werden, aber es herrschte generell eine sehr aufgewühlte und unzufriedene Stimmung auf dem Campus. Die Forderungen von Studenten und Lehrkörper waren bis dahin von der Regierung ignoriert worden. Ich hatte daher für die kurzen Ferien über die Weihnachtsfeiertage nur noch einen Wunsch, weg aus Kumasi und irgendwohin, wo ich nur andere und hoffentlich nette Menschen und viel Natur um mich habe. Die traf ich in der Tat in Amedzofe an und konnte dort für eine Weile die bedrückende Atmosphäre auf dem Campus der Universität in Kumasi hinter mir lassen. Der Regional Kommissar hatte in der Zwischenzeit das Landwirtschaftsministerium übernommen. Er organisierte dennoch für mich die Unterbringung im alten Gästehaus der Regierung in Amedzofe während meines Weihnachtsurlaubs.

Dieses Haus war ein ganz schlichtes Gebäude, einfach möbliert und sehr sauber. Es hatte mehrere Schlafzimmer, Toiletten, Bad und Dusche, einen großen Wohnraum, Küche und eine überdachte Veranda, von der aus man einen überwältigend schönen Ausblick hatte auf den Berg Gemi oberhalb von Amedzofe und auf die anderen Berge des Avatime Gebirgszuges, der zur Akwapim-Togo Kette gehört. Bis zum Volta Stausee reichte der Blick bei klarem Wetter. Ein gut gepflegter Garten umgab das Haus, das auf einer Anhöhe lag. Das Reinigungsteam mit Gärtner und Wachpersonal umsorgten mich. Ich fühlte mich hier sofort total geborgen und war sehr glücklich über die Ruhetage, die ich hier oben fernab von aller Politik und allen damit verbundenen Unruhen verbringen konnte.

Natürlich hatte ich mich schon vorher über die Stadt, die Menschen und ihre interessante Geschichte informiert. Und obwohl es bei einem kurzen Besuch dort Mitte August, als ich mich mit den Studenten und einem Teil meiner Kollegen in der Volta Region aufhielt in Strömen regnete, konnte ich doch ein wenig von der Bergwelt um Amedzofe bei der Fahrt sehen. Nun wollte ich die Gegend selber „entdecken“. Auf dem Hinweg besuchte ich noch Freunde in Accra, auch den neuen Landwirtschaftsminister, bei dem ich mich für die Unterbringung bedankte. Dann nahm ich noch an einem GTZ-Projektleitertreffen in der Botschaft teil und fuhr am 19.Dezember gut eingedeckt mit Lebensmitteln und Getränken zur „Selbstversorgung“ nach Amedzofe. Ich arrangierte vorher noch für meine Freunde aus der Botschaft die Unterbringung im Gästehaus für ein paar Tage. Auf deren Kommen zur Weihnachtszeit freute ich mich sehr.

Amedzofe liegt ungefähr 720 m hoch und hat heute etwa 3.000 Einwohner. Es ist der am höchsten gelegene Ort in Ghana. Die Gegend um Amedzofe gehörte ab 1884 zur deutschen Kolonie Togo. Nach dem ersten Weltkrieg bestimmte die League of Nations die Teilung Togos in einen westlichen, britischen Teil (33.000 qkm) und östlichen, französischen (54.000. qkm). 1946, nach dem zweiten Weltkrieg kamen beide Teile unter die Mandatsverwaltung der UN. 1956 gehörte das britische Togoland zur Goldküste und ab 1957 nach der Unabhängigkeit zu Ghana. Das französische Togoland wurde zu einer autonomen Republik innerhalb der französischen Union bis zur Unabhängigkeit Togos 1960.

Amedzofes Umgebung, 1980

Amedzofes Umgebung, 1980

Der Ort Amedzofe mit seinem Berg Gemi hat eine tiefe religiöse Bedeutung. Amedzofe wird als Menschenentstehungsort bezeichnet. Für die Avatime, die Ureinwohner, ist es die „Heimat der Menschheit“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrieb die Basler Mission hier eine Missionsstation, die in den 1880ern von der Norddeutschen Missionsgesellschaft übernommen wurde. In der Stadt gibt es nach wie vor das alte Ausbildungszentrum der Mission für Grundschullehrer. Ein „Amedzofe Tourismus Zentrum“ wurde 1997 eröffnet, das als Gemeinschaftseinrichtung betrieben wird und zum Ziel hat, Bürger und Bürgerinnen der Stadt an den Einnahmen aus dem Tourismus zu beteiligen. So werden Führungen in die umgebende Bergwelt mit ihren Schluchten und Wasserfällen und generell Wanderungen durch die Gegend angeboten. Und dort, wo das alte Gästehaus stand, in dem ich ein unvergesslich schönes Weihnachtsfest und im darauffolgenden Jahr 1981 auch das Osterfest verbringen konnte, sodass ich Amedzofe danach als „ein kleines Paradies in Ghana“ bezeichnete, ist mit dem „Abraerica“ ein modernes Hotel entstanden.

Als ich in Amedzofe war, gab es noch keinen „organisierten“ Tourismus. Ich habe den Mount Gemi ohne Führung selbst bestiegen und vom großen Metallkreuz aus, das in der Kolonialzeit von den Deutschen auf dem Gipfel errichtet worden ist, allein und still sitzend die wunderschöne Aussicht genossen. Und bin in den nächsten Tagen viel fotografierend und skizzierend durch das Gebirge und durch die Täler und Wälder um Amedzofe gewandert. Ich hatte fantastische Begegnungen unterwegs, besonders in den frühen Morgenstunden, wenn der Nebeldunst aus den Büschen und Bäumen aufstieg. In meinem kleinen Transistorradio, das ich mitgenommen hatte, erklangen zum Heiligen Abend die Kirchenglocken und Weihnachtslieder aus der Heimat, die von der Deutschen Welle übertragen wurden. Zum Weihnachtsfest erhielt ich frisch geerntete Kartoffeln vom Gärtner, und einige Frauen, die ich „unterwegs“ kennen gelernt hatte, bedachten mich mit Perlenarmbändern. Ich schenkte ihnen eine meiner Skizzen. Meine Freunde stießen zu mir. Wir verbrachten einige wunderschöne und vor allem kühle Tage bei Wanderungen gemeinsam. Sie blieben bis zum 28.12. Am 29.12. brach auch ich auf zu meiner Rückfahrt über Ho und Keta nach Accra. Von dort aus ging es nach einer Übernachtung bei meinen Freunden zurück nach Kumasi.

Das Osterfest 1981 verlebte ich mit meinen Freunden von der Botschaft erneut gemeinsam in Amedzofe. Ich war schon vor Karfreitag dort eingetroffen, sie kamen am Karfreitag zusammen mit ihren beiden Kindern. Wir bestiegen gemeinsam den Mount Gemi und wanderten über Berg und Tal zu entlegenen Dörfern, in denen die Zeit still zu stehen schien. Ein Osterfest der besonderen Art boten uns die Bewohner von Amedzofe, die sich mit den Häuptlingen und Ältesten der Nachbarortschaften zu ihrem Oster-„Durbar“ (Empfang) trafen. Sie hatten ihre Häuptlingsstühle und andere Regalien dabei und waren in ihre farbenprächtigen Roben gekleidet. Trommeln, Tanzen, Farben, Singen, blauer Himmel und die strahlende Sonne über allem – was will der Mensch mehr? Für mich lag über allem aber schon so etwas wie eine beginnende Abschiedsstimmung, denn ich hatte von der GTZ die Bestätigung meiner Einstellung erhalten. Mein Vertrag mit der Universität in Kumasi lief Ende 1982 aus. Und damit sollten dann auch meine 22 Jahre in Ghana zu Ende gehen. So war der Osterbesuch in Amedzofe das letzte Mal, dass ich mich in dieser sattgrünen, überwältigenden Bergwelt aufgehalten habe. Schon am Ostermontag ging es direkt zurück nach Kumasi. Der Lehrbetrieb begann gleich wieder nach Ostern.

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